2014 feierte der Evangelische Verein in Bad Cannstatt sein 140jähriges Bestehen - ein Grund, die traditionsreiche Geschichte des Evangelischen Vereins in Bad Cannstatt näher zu betrachten.
Die Gründung einer sozialen Einrichtung mit sowohl missionarischen als auch bildungspolitischen Aufgaben stand ganz im Zeichen der damals vorherrschenden wirtschaftlichen und sozialen Not. Zur Motivation dienten weniger materielle als ideelle Werte: Viele Menschen hatten durch die schnelle Industrialisierung an Halt verloren und sollten im Haus des Evangelischen Vereins Zuflucht finden können.
Am 27. November 1874 trafen sich auf Anregung des späteren Stadtpfarrers Christian Härle einige Cannstatter Bürger im Hotel Wilhelmsbau, um den "Evangelischen Verein" zu gründen. Ziel war es, die soziale Not vor Ort zu lindern. Alle vorhandenen freiwilligen Einrichtungen der damaligen Inneren Mission sollten zusammengeführt werden, um soziale Missstände wirksamer beheben zu können. Das Vereinshaus entstand schon bald, im Jahre 1877/78, auf einem von der Stadtverwaltung unentgeltlich zur Verfügung gestellten Grundstück und verlieh dem Verein eine nun sichtbare Darstellung nach außen. Mit dem Vereinshaus war es möglich, auf verschiedenen Gebieten des kirchlichen und diakonischen Lebens tätig zu werden. So wurden ein Kleinkinderhort, ein Jugend- sowie ein Fabrikarbeiterinnenheim und eine Krankenpflegestation gegründet. Darüber hinaus wurde der Saal für Treffpunkte verschiedener Gruppen zur Verfügung gestellt, wie zum Beispiel dem „Jünglingsverein“, der „Männergesellschaft“ und der „Jungfrauenmission“. Kurse, wie die „Anleitung zur Wiederherstellung zerrissener Kleider“ trafen den damaligen Nerv der Zeit.
Nicht nur wohlhabende Bürger aus Cannstatt unterstützten den Evangelischen Verein mit Stiftungen und Geldmitteln. Auch reiche Fabrikanten und sogar Königin Charlotte spendeten jährlich.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte der Verein eine Blütezeit. 1909 gehörten alle Gebäude zwischen Schmidener-, Hofener- und Kranstraße zum Evangelischen Verein. Die Gebäudeformation wurde in Cannstatt „Das Heilige Dreieck“ genannt. Den ersten Weltkrieg überstand der Verein weitgehend unbeschadet. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag weiterhin in der Unterstützung Bedürftiger, wie beispielsweise Mittagskost für Minderbemittelte.
Auch nach dem ersten Weltkrieg lag der Schwerpunkt der diakonischen Arbeit in der Hilfe für Bedürftige. Ein Arbeitslosentagheim wurde eingerichtet und die Neugründung eines Töchterheims für erwerbstätige junge Mädchen und Auszubildende vorgenommen. Kindergärten und bereits bestehende Projekte aus der Vorkriegszeit wurden weiter betrieben. Die finanzielle Lage des Vereins wurde aber zunehmend schwieriger und Spendengelder und regelmäßige Zuwendungen wurden weniger. Somit bestand ein Zwang zur Beschränkung auf Kernaufgaben wie die Betreuung von Arbeitslosen, Älteren und Wohnungslosen.
Ab 1933 trat die Fürsorge für Alte, Vereinsamte und Angehörige des verarmten Mittelstands in den Vordergrund. Finanzielle und personelle Mittel wurden knapp und die nationalsozialistische Regierung kam dem kirchlichen Werk nicht entgegen. Einige Arbeitsbereiche mussten aufgelöst werden.
Seit 1933 trägt der Evangelische Verein das e.V. im Namen.
Am Ende des 2. Weltkrieges lagen fast alle Immobilien des Vereins in Schutt und Asche. Was noch stand wurde zunächst von den Besatzungsmächten beschlagnahmt. Dennoch entstand 1945 das erste Altenheim des Vereins im Gebäude des ehemaligen „Töchterheims“.
Nach und nach übernahmen auch städtische bzw. staatliche Institutionen die ehemaligen Aufgabengebiete des Evangelischen Vereins. So konzentrierte sich die Arbeit immer stärker auf den Bereich der Altenpflege und Altenwohnheime.
In den 50er und 60er Jahren wurde der bisherige Grundbesitz mit all seinen Ruinen an die Stadt Stuttgart zurück gegeben und im Austausch hierzu das Gelände einer ehemaligen Blechdosenfabrik in der Brunnenstraße 57 in Erbbaurecht erworben.
1961 bot sich dann die Gelegenheit, einen Hotelneubau in der Wilhelmstraße zu erwerben und in ein Altenwohnheim umzubauen.
1970 wurde das Gebäude in der Brunnenstraße eingeweiht. Nach und nach kamen die Gebäude der Überkinger Straße und Nauheimer Straße, sowie das ehemalige Stadtmühlengelände dazu. 1983 wurde unser Haus in der Nauheimer Straße eröffnet und 1999 dasjenige in der Stadtmühle. Diese Gebäude wurden mit behindertengerechten Wohnungen zu Betreuten Wohnanlagen ausgebaut. Im Laufe der Jahre wurden regelmäßig Renovierungen und kleinere Umbauten an den Wohnungen vorgenommen.
Die Überkinger Straße 42 und die Brunnenstraße 57 wurden inzwischen aufwendig saniert und umgebaut. Seit der Neueröffnung im Jahr 2011 kann Pflege und Betreutes Wohnen nicht nur in qualitativ hochwertigem Stil angeboten werden sondern auch in modernem Ambiente. |